DecTher: Danach wird sie aber nicht in den Job zurückkehren, sondern sich eine Teilzeitstelle suchen, denn nachmittag holt sie das Kind von der Kita/Schule ab und verbringt den Rest des Tagen mit dem Kind.
Nein, so läuft das nicht.
Im Westen war das vielleicht früher mal so, aber sogar die lernen dazu.
Im Osten brauche ich zum Thema "starke Frauen" nur meine Oma anschauen: 3 Kinder, Ehemann im Schichtdienst, 2 Jobs, Kellerwohnung ohne Bad und Klo über den Hof.
Da ging der Tag um 4 Uhr los. Kinder fertigmachen, mit der StraBa in die Kita, danach in die Molkerei, Frühstück machen für die erste Schicht, die zweite Schicht, Putzen. Dann Mittagessen, abwaschen, putzen. Anschließend mit der StraBa zum Zweitjob in der Eisdiele. Der Eheman holt vor der Spätschicht schnell die Kinder ab und bringt sie bei der Frau vorbei. Danach ging es nach Hause mit der StraBa, Abendbrot machen, waschen im Waschbecken Zähneputzen, Bett. Hausarbeit bis nachts um 10 Uhr. Ab ins Bett und um 4 Uhr gings wieder los.
Meine Mutter prahlt im Vergleich dazu zwar gern damit, wie schwer sie es mit mir hatte, aber das waren DDR-Zeiten: Die Kinderkrippe war kostenlos und hat mich ab der 6. Woche schon halbtags genommen. Oma und Opa wohnten unten im Erdgeschoss. Opa war Traktorfahrer und hat mich nach der LPG nachmittags auf dem Fahrrad abgeholt. Schließzeiten gab es bei der Kita gar nicht, sobald wir stehen konnten gingen wir alle selbstständig aufs Töpfchen. Mutti wurde zügig befördert, und alle Frauen bekamen 1 Tag pro Monat, an dem sie ohne Begründung der Arbeit fern bleiben konnten. Außerdem hatte meine Mutter im Betrieb ja nichts auszuhalten, stressig war die Arbeit nicht. Ach, und die Kita hatte zu DDR-Zeiten von 6 bis 18 Uhr offen, in Ausnahmefällen, wenn der Chef vom Kombinat anrief weil Überstunden notwendig waren, dann blieb die Erzieherin auch schon mal bis 20 Uhr.
So fortschrittlich sind wir im Westen noch lange nicht. Eine Kita zu finden, welche ein Kind unter 3 Jahren überhaupt nimmt ist fast aussichtslos. Auf dem Dorf schon mal gleich gar nicht. Wenn doch dann kostet die Kinderkrippe gesalzene 1900 Euro pro Monat und Kind und hat bis 4-6 Wochen im Jahr einfach mal zu wegen Betriebsferien. Da die Kita bei uns hinter der Landesgrenze liegt - nirgends sonst war ein Platz frei - musste ich hier bei uns im Norden alle 10 Monate 4 Anträge bei unterschiedlichen Behörden stellen, alle diese Anträge bauen aufeinander auf und die Bearbeitungszeit beträgt bis zu 12 Monate. Inzwischen haben sie das geändert und ich muss nur noch 1 Antrag stellen. Die Bearbeitungszeit beträgt mindestens 2 Jahre, so genau weiß ich das eigentlich nicht. Die Behörde hat aktuell überhaupt keine Sachbearbeiterin mehr, nicht einmal mein 1. Antrag von 2019 ist final genehmigt. Dieses Jahr sehen wir schwarz, vielleicht wird es 2022 dann mal was.
Meine Frau und ich arbeiten versetzt, beide volle 8 Stunden. Sie geht morgens vor mir aus dem Haus. 1 Stunde tingele ich morgens mit Kind und Kegel im Auto durch die Gegend, bis das Kind endlich wohlbehalten in der Kita ist. Es gibt feste Bringzeiten, vor 8:30 brauchen wir es gar nicht versuchen. 8 Stunden bezahlt der Staat inzwischen bis zu einem fixen Sockelbetrag von 200 Euro. Früher waren das so um die 600 Euro pro Monat und Kind, welche wir aus eigener Tasche berappen mussten. Außerdem mussten wir zunächst mit 1200 Euro pro Monat in Vorleistung gehen, um die Hälfte davon dann i.d.R. nach 6-8 Monaten zurück zu bekommen. Braucht bspw. eine alleinerziehende Mutter mehr als 8 Stunden Betreuung, dann geht das nur aus eigener Tasche. Um 17 Uhr, nach einem vollen 8-Stunden-tag holt meine Frau das Kind dann wieder ab: 17 Uhr ist bereits "Spätschicht". Da haben wir übrigens Glück, wir haben eine richtig gute Kita erwischt, andere Kitas machen um 16 Uhr den Laden einfach dicht.
Meine Frau kümmert sich dann um das Kind bis ich gegen 19 Uhr von der Arbeit komme. Dann übernehme ich wieder bis das Kind ins Bett geht. Anschließend machen wir Hausarbeiten und arbeiten an unserem zweiten Job noch bis ca. 23 Uhr. Anschließend geht es ins Bett und am nächsten Tag ab 6 Uhr geht der "Spaß" wieder von vorn los.
Es ist völlig utopisch, dass einer von uns zuhause bleibt. Wir brauchen beide Gehälter um über die Runden zu kommen.
Dabei haben wir es noch sehr, sehr gut: Ich habe den allergrößten Respekt vor Familien, die gar keine Chance auf einen Kitaplatz haben und vor allem alleinerziehenden Müttern. Wie die das überhaupt deichseln ohne vor Übermüdung tot umzufallen ist mir völlig rätselhaft. Vor diesen großartigen Frauen verneige ich mich zutiefst.